Ein Dienstagmorgen Mitte der 1980er Jahr im Wohnobjekt Waldsiedlung Wandlitz, Haus der Familie Honecker: Der DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker verabschiedet sich von seiner Frau Margot, die sich auf den Weg nach Chile macht. Er rauscht mit seinen Personenschützern aus dem umzäunten und bestens bewachten Domizil im brandenburgischen Wald nach Berlin ab. Im Mini-Konvoi von zwei Dienst-Citroen. Honecker ist der einzige aus der SED-Spitze, der die französische Marke nutzen darf. Die anderen Politbüro-Mitglieder werden im Volvo chauffiert.

Die französische Limousine erreicht die DDR-Hauptstadt. Die sauberen Fassaden an der Protokollstrecke in Weißensee erfreuen den Generalsekretär. Wie es hinter den Fassaden aussieht, ist zweitrangig. An den Kreuzungen wird sein Wagen von Verkehrspolizisten durchgewinkt. Das sind allerdings keine Polizisten, sondern verkleidete MfS-Mitarbeiter. Man weiß ja nie.

So ließ es sich leben

Honecker verrichtet im Haus des Zentralkomitees am Werderschen Markt sein Tagwerk. Es ist SED-Politbürositzung wie an jedem Dienstag. Im Führungsgremium der Partei herrscht Einmütigkeit. Alle Vorlagen werden durchgewinkt. Honecker kann beruhigt die Rückfahrt nach Wandlitz antreten.

Die banalen Dinge des Lebens sind für das DDR-Volk beginnend schon beim Einkauf beschwerlich. Solche Belastungen sind für Honecker und die anderen knapp 20 in Wandlitz lebenden Kandidaten und Mitglieder des Politbüros so fern wie der Mond.


Dennoch relativiert sich bei Wandlitz der Begriff Luxus. Über die biederen Häuser dort hätte jeder westdeutsche Zahnarzt geschmunzelt. Den Nimbus von Wandlitz (Volksmund: Volvograd) als Synonym für Arroganz und Isolation der Spitzenkaste machte die Geheimniskrämerei darum aus. Hier durften nur Politbüromitglieder einziehen. 

Sie mussten es auch – aus Sicherheitsgründen. 

Es war eine Sensation, als sich Journalisten im Herbst ʼ89 Eintritt verschafften und nach Bananen, westlichen Bad-Armaturen und Levis-Jeans fahnden konnten. Wandlitz entstand in Folge des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953, bei dem sich die SED nur durch den Einsatz sowjetischer Panzer an der Macht halten konnte. Bis dahin hatte das Wohnviertel der DDR-Oberen am Majakowskiring in Berlin-Pankow gelegen. Deshalb hieß es in westdeutschen Medien gern „Pankow“, wenn von der Ostberliner Führung die Rede war.



Das wirklich luxuriöse Leben des Politbüros spielte sich außerhalb der Mauern und Zäune von Wandlitz ab. Über die DDR verstreut, besonders aber im Berliner Raum und nördlich davon, lagen die Erholungsgebiete der SED-Elite. Sie umfassten so genannte Sonderjagdgebiete, Wassergrundstücke, Schlösser, Ferienhäuser und Bootsquartiere.

Auch Mutter-Kind-Kuren gab es stets

Dafür mussten die Genossen nicht jahrelang schuften und sparen. Sie bedienten sich vielmehr wie absolutistische Fürsten an den schönsten Plätzen der Heimat reichlich aus dem Volkseigentum. Ihre Lakaien hielten die Anwesen in Ordnung und hatten den Besitzern jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Bezahlen mussten die Herrschaften bei einem Monatseinkommen von 6500 DDR-Mark (Generalsekretär Honecker bekam rund 8000 Mark) nur lächerliche Beträge. Feudalismus in Reinkultur. Aber es reichte immer für eine Mutter-Kind-Kur, die Honecker gerne als Mann im gleichberechtigen Osten in Anspruch nahm. 

Die Jagd als gern gepflegtes Hobby in diesen Kreisen passte zum monarchistischen Geist. Erich Honecker, Günter Mittag und Erich Mielke kungelten zudem auf der Pirsch manchen politischen Winkelzug aus.
Ein jährlicher Höhepunkt im Jagdtreiben der DDR-Obrigkeit war die Staatsjagd mit dem Diplomatischen Korps. Wechselnd im Umland von Magdeburg oder von Erfurt wurde im Dezember oder Januar zur Treibjagd auf Hasen geblasen.Damit verbunden war einer der seltenen Besuche des Generalsekretärs in der Provinz.

Schienen mit Seilen ausgelegt

Eine Bewährungsprobe für die jeweilige Bezirksleitung der SED. Sollte doch dem ersten Mann im Lande ein blühendes sozialistisches Gemeinwesens vorgeführt werden. In Magdeburg wurden Honecker und der Doyen des Diplomatischen Chors stets am Hauptbahnhof empfangen. Ein von SED und FDJ organisierter Jubelchor verteilte sich in der Bahnhofshalle und auf dem Vorplatz, durchsetzt mit Dutzenden von Sicherheitskräften.

Damit Honecker und die Diplomatenschar sturzfrei ihr Quartier im Hotel „International“ gegenüber dem Bahnhof erreichen konnten, wurden die Straßenbahnschienen mit Seilen ausgelegt. Das sprach sich herum und sorgte für Belustigung. Gab es doch allen Witzen über die Altherrenriege Politbüro weitere Nahrung.

Überhaupt waren die Staatsjagden äußerst humorträchtig. Über das Nebeneinander von DDR-Oberen und dem Diplomaten-Chor bei der Jagd, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, machte der nimmermüde DDR-Volksmund seine Witze. Wie diesen hier: Ein westlicher Diplomat liegt auf dem Boden. Erich Mielke ist dabei, die Taschen zu durchwühlen. Willi Stoph stürzt herbei. Mielke keift ihn an: „Das ist meiner. Schieß Dir selber einen!“.


Ein Scherz nahe an der Wirklichkeit: Mielke reagierte cholerisch und sah überall Feinde. Wenn der Minister auf der Fahrt von Wandlitz nach Berlin Müll an der Autobahn entdeckte, konnte es passieren, dass er umgehend eine Reinigungstruppe in Marsch setzte. Geschickt wurden keine gewöhnlichen Müllmänner: Saubermachen mussten mit Arbeitskluft verkleidete MfS-Wachsoldaten. /volkstimme