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12. September 2019

Von der Unantastbarkeit eines Spiegel-Stars

Im vorigen Jahr erschütterte der Fall Relotius die Medien. Hier erklärt der Journalist Juan Moreno, wie er den Fälscher entlarvte und warum so viele Menschen gern belogen werden wollen.

DIE ZEIT: Herr Moreno, Sie haben den Spiegel-Reporter und Fälscher Claas Relotius fast im Alleingang überführt. Doch lange wollte Ihnen keiner glauben. Es gab einen besonderen Tiefpunkt: Sie sitzen zu Hause und telefonieren mit einem Spiegel-Verantwortlichen, der Sie erneut abblitzen lässt. Dann fangen Sie an zu weinen, so beschreiben Sie das in Ihrem Buch, und Ihre Frau ist ebenfalls hilflos, sie verlässt die Wohnung, um draußen auf der Straße zu weinen.

Juan Moreno: In der ersten Fassung war diese Passage länger, ich habe sie gekürzt, weil ich mir vorkam wie ein weinerlicher Sack. Ich neige nicht dazu, vielleicht hat das mit meiner südländischen Erziehung zu tun, in der Öffentlichkeit zu weinen, und mit Öffentlichkeit meine ich auch: vor meiner Frau. Als sie es bemerkte, dachte sie: Okay, der weint, was ist jetzt bitte los?


ZEIT: Hatten Sie in dem Moment Existenzangst? Sie waren und sind freier Reporter beim Spiegel. Sie schreiben, es habe beim Spiegel den Plan gegeben, Ihren Vertrag wegen Ihrer Vorwürfe gegen Relotius nicht zu verlängern.
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 38/2019. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.

Moreno: Den Plan gab es, das wurde redaktionsintern eingeräumt. Ich wusste, wenn ich rausfliege und alle Welt sich erzählt, ich hätte einen Kollegen zu Unrecht angeschwärzt, dann bekomme ich in der Branche ein fundamentales Problem. Aber in dem Moment war das nicht entscheidend. Ich war verzweifelt, weil ich das Gefühl hatte, die wollen nicht hören, was ich sage. Ich hatte das Gefühl, die behandeln mich wie jemanden, der aus Neid Zwietracht säen will.

ZEIT: Ihr Buch erweckt manchmal den Eindruck, das eigentliche Duell fand nicht zwischen Ihnen und Claas Relotius statt, sondern zwischen Ihnen und Ihren beiden Vorgesetzten, Matthias Geyer und Ullrich Fichtner. Sie haben mal gesagt, Sie seien gegen eine Wand gelaufen, eine Spiegel-gemäß solide Wand.

Moreno: Ja, die Wand war gut gebaut. Es fing klein an. Ich schrieb einen Text gemeinsam mit Claas und wunderte mich über einige seiner Passagen. Erst dachte ich, er übertreibe oder sei angelogen worden. Claas reagierte auf meine Fragen seltsam und wollte nichts davon hören. Schließlich mailte ich einem Dokumentar. Beim Spiegel ist die zu Recht gerühmte Dokumentation zuständig für Fakten-Checks. Dieser Dokumentar vermittelte mir freundlich den Eindruck: Du armer Tor, du weißt ja gar nicht, wem du da einen Fehler unterstellst!

ZEIT: Als würde man Picasso angreifen?

Moreno: Genau, als würde ich sagen, Leute, der Picasso kann gar nicht malen, alles so schief! Und dann kommt der Kulturredakteur, nimmt mich väterlich in den Arm und sagt, Moreno, wir müssen reden. So fühlte sich das jedenfalls an.

ZEIT: Claas Relotius war der junge Starreporter des Blattes ...

Moreno: Ein Chefredakteur hat gesagt: Claas Relotius ist die Zukunft des Spiegels.

ZEIT: Er hat allein viermal den Deutschen Reporterpreis gewonnen. Er galt als bescheiden und freundlich, war bei den Kollegen beliebt. Sie hatten es mit einem Sympathieträger zu tun.

Moreno: Ja. Und noch etwas muss man bedenken. All das passiert, während sich das große Personalkarussell gerade dreht: Die Chefredaktion wechselt. Ullrich Fichtner, der Entdecker und Förderer von Relotius, ist designierter Co-Chefredakteur. Matthias Geyer, Relotius’ Ressortchef, soll Blattmacher werden. Und Relotius selbst soll Geyers Nachfolger werden im Gesellschaftsressort, zusammen mit Özlem Gezer. Und dann kommt Moreno mit seiner Bombe. Zur totalen Unzeit. Das muss man verstehen. Der Spiegel hatte in dieser Affäre anfangs kein Kommunikationsproblem, er hatte ein Motivationsproblem.


DIE ZEIT Nr. 38/2019, 12. September 2019





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