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3. April 2021

Er hat sich stets bemüht

So, einer der höchsten kirchlichen Feiertage ist angekommen im Sozialstaat. Man fragt sich bei dieser Gelegenheit, ob man sein Auto mit wirtschaftlichem Totalschaden nochmals in der Werkstatt aufbocken lässt oder die Kiste besser gleich abschreibt. Und ein neues Vehikel vor die Tür stellt. Antwort fällt leicht. Schließlich ist ein Auto kein Reperatur bedürftiger Mensch oder wirtschaftlicher Totalschaden. 

Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. 

Doch was denken sie, wenn sie die folgende Geschichte lesen. Fehler im System? Systemische Schwäche? Bismarck würde sich im Grab umdrehen? 

Lesenswert: Wie er  so  dasitzt,  vor  seinem Laptop,  im  Dachgeschoss-Zimmer  seiner  WG,  ein Bett,  ein  Schrank,  ein Buch, „Lexikon der Ausbildungsberufe“,  sonst  nichts,  keine  Pflanzen, kein Teppich, keine Bilder. Und mittendrin  dieser  Mann,  der  aussieht,  als  schreitet  die  Zeit gnadenlos  voran  und  er  kommt mit  seinem  Leben  nicht  hinterher.

Marius Lauber ist 33, wirkt aber mit seinen kurzen braunen Haaren und seiner hellen  Haut  viel  jünger,  der  Pulli  hängt  an  seinem Oberkörper wie an einem Drahtbügel, die  Hose  schlackert.  Vor  ihm  auf  dem  Bild-schirm:  eine  Tabelle  mit  acht Kreuzen,  jedes hat seinen Traum vom neuen Leben beerdigt.  Ein  Kreuz,  eine  Absage,  von  Arbeit-gebern, bei denen er sich 2018 und 2019 beworben hat, Deutsche Bahn, Post, Amazon. Er  scrollt  weiter,  sucht  seinen  Lebenslauf, der Laptop brummt, er ist mit Panzer-tape  zusammengeklebt.  

„Du  willst  ja  irgendwann  mal  ein  normales  Leben“,  sagt er,  seine  Stimme  bricht  kurz,  „zum  Beispiel  eine  Freundin,  Kinder,  Urlaub.  Aber
all  das  kann  man  sich  nicht  leisten.“

Wenn  Lauber  „man“  sagt,  meint  er  sich selbst.  Es  fällt  ihm  schwer,  anderen  Menschen  in  die  Augen  zu  schauen.  Er  spricht leise,  ... wird  er  nur,  wenn  er  sich  ärgert. Und  das  passiert  vor  allem  dann,  wenn  es um  den  Sozialstaat  geht. 

„Dieses  System muss  sich  um  360  Grad  ändern“,  sagt Lauber.  Dass sich  dadurch  für  ihn  nichts ändern  würde  –  andere  Geschichte.

Für  den  Sozialstaat  ist  Marius Lauber eine Kombination  aus  zehn  Ziffern  und Buchstaben.  Einer  von  etwa  135.500  Menschen,  die  länger  als  fünf  Jahre  arbeitslos sind.  Einer,  der  an  einem  System  verzweifelt,  das  vor  bald  100 Jahren  etabliert  wurde, das 408 Jobcenter und 156 Arbeitsagenturen  umfasst  und  Menschen  wie  Lauber täglich  mit  Fragen konfrontiert:  Wie  viel Mühe  lohnt  sich,  um  jemandem  Arbeit, also auch  eine  Art Erfüllung zu  geben? Und wo  endet  die  Zuständigkeit  des  Staates, aus  jedem  Bürger  einen  Arbeitnehmer  zu machen?

Die Geschichte von Herrn Lauber ist noch nicht zu Ende. Sie können sie gern in der SZ zu Ende lesen - bei Interesse. Versprochen, es gibt ein Happy Ende. Es ist Ostern. Es ist keine Story des üblichen Terminjournalismus, Quatsch, hier hat sich ein Profi richtig Zeit genommen und das Leid eines Menschen niedergeschrieben. Mit sehr viel Mitgefühl und mitmenschliche Wärme für einen Menschen, der am System fast scheitern musste, weil das System nicht selbst regulierend systemische Fehler korrigiert. 

Sie finden unseren Vergleich mit dem Auto zu Beginn der Geschichte falsch? Herrlich. Sie sind noch immer ein Mensch geblieben. 

Gratulation. Sie brauchen nicht auf den Jakobsweg, um zum Menschsein zurück zu finden. 

Schöne Ostern