10. Oktober 2019

Wer kann ihn noch halten?

Skandalöser  Vorgang“
Die  Geheimtreffen  von  Andreas  Scheuer  mit  Mautbetreibern  alarmieren. Fachleute  und  werfen  die  Frage  auf:  Ist  der  Verkehrsminister  noch  zu  halten?
Ein Kommentar auf SZ (10.Okt. 2019)
Die  Offenheit  seines  Ministeriums
sollte  per  Bild  ins  ganze  Land  gehen.  Als  Bundesverkehrsminister Ende  Juli  im  Verkehrsausschuss  des  Bundestags  erklären  musste,  da  schob  er selbst  für  die  laufenden  Kameras  einen ganzen  Rollwagen  voller  Akten  vor  sich her,  um  sie  den  Abgeordneten  zu  übergeben.  Scheuer  ging  nach  dem  Scheitern  des CSU-Prestigeprojekts  vor  dem  Europäischen  Gerichtshof  und  angesichts  drohender  Schadenersatzforderungen  der  Betreiber  in  die  Offensive:  Mauscheleien  habe  es nie gegeben, erklärte der Minister und kündigte  an:  „Wir  stehen  für  maximal  mögliche  Transparenz.“

Doch  genau  daran  gibt  es erhebliche Zweifel. Denn inzwischen ist klar: Entscheidende  Gespräche  und  Treffen  tauchen  in den  Akten  nicht  auf.  Am  Dienstag  musste Scheuer  gleich  fünf weitere  Geheimtreffen seines Hauses mit den Mautbetreibern einräumen,  die  im  Ministerium  nicht  dokumentiert  wurden.  Eine  brisante  Erkenntnis,  denn  im  Raum  steht  ein  schwerer  Verdacht.  Laut  Insidern  sollen  Vertreter  der Betreiber  Scheuer  vorgeschlagen  haben, die Mautverträge erst nach dem EuGH-Urteil zu unterzeichnen. Schadenersatzforderungen  von  bis  zu  700  Millionen  Euro,  die nun  im  Raum  stehen,  hätte  das  wohl  verhindert.

Wie  gefährlich  die  Affäre  Scheuer  werden  kann,  machen  Reaktionen  von  Fachleuten  klar.  „Das  ist  ein  skandalöser  Vorgang“,  sagt  der  Konstanzer  Professor  für Politik-  und  Verwaltungswissenschaften, Wolfgang  Seibel,  der Süddeutschen  Zeitung.  Nicht  protokollierte  Geheimtreffen, die  Auswirkungen  auf  Entscheidungen von  Regierung  und  Verwaltung  hätten, noch  dazu  mit  finanziellen  Folgen,  seien „vollkommen  undenkbar“.  Sollte  ein  Mitglied der Bundesregierung an solchen Treffen  mit  Folgen  für  den  Bundeshaushalt selbst  beteiligt  gewesen  sein  und  den  Verzicht  auf  einen  aussagekräftigen  Besprechungsvermerk  geduldet  haben,  „wäre  ein Rücktritt  unausweichlich“,  sagt  Seibel.

Die  Regierungsvorgaben  sind  klar:  Nur durch  ordnungsgemäße  Aktenführung werde  ein  rechtsstaatlicher  Verwaltungsvollzug, eine Rechtskontrolle durch Gerichte sowie Aufsichtsbehörden und eine Überprüfung durch die  Parlamente gewährleistet,  heißt  es  in  einer  Stellungnahme  zur Transparenz  vom  Mai.  Alle  Beschäftigten einer Behörde seien dem Prinzip verpflichtet.  Zu  den  aktenrelevanten  Unterlagen zählten die „entscheidungserheblichen Informationen“ – egal wie sie die Behörde erreichen.  Also  auch  Gespräche.

Mit  einer  fragwürdigen  Begründung versucht  Scheuers  Ministerium  die  Lücken  in  den  Akten  zu  rechtfertigen.  Die Treffen  hätten  nur  „zu  dem  allgemeinen Austausch“  oder  der  Information  über Sachstände  gedient.  Doch  die  Umstände lassen  daran  nach  Informationen  von  SZ, WDR  und  NDR  daran  Zweifel  aufkommen.

Brisant  könnten  die  Inhalte  eines  Treffens sein,  das  am  3.  Oktober  2018  zwischen Scheuer, seinem damaligen Staatssekretär Gerhard  Schulz  sowie  den  Spitzen  der
Mautbetreiberfirma  Kapsch  stattgefunden  hat  –  vierzehn  Tage  bevor  die  Firma schließlich am 17. Oktober 2018 ihr milliardenschweres Angebot für die Maut-Umsetzung  einreichte –  und nur  wenige  Tage  bevor Kapsch einen Zuschlag für einen weiteren  Vertrag  seitens des  Bundes  erhielt.  Unbeantwortet  ist  bislang,  worum  es  in  dem Treffen  inhaltlich  ging.  Das  Bundesverkehrsministerium  wollte  sich  dazu auf Anfrage  am  Mittwoch  nicht  äußern.  Auch  wo das  Treffen  stattgefunden  hat  und  warum es  an  einem  Feiertag  stattfand,  wollte  das Ministerium  nicht  mitteilen.
Was  dagegen  bekannt  ist:  Kurz  nach dem  Treffen,  am  10.  Oktober,  erhielt Kapsch  die  Nachricht,  dass  die  Österreicher  vom  Bund  für  einen  kleineren  Mautvertrag  ausgewählt  werden  sollten  –  dem zur  Kontrolle  des  Projektes.  Dass  es  bei dem  Treffen  in  der  entscheidenden  Phase auf höchster Ebene allein um einenbelanglosen  Gedankenaustausch  ohne  Folgen  für Ministeriumsentscheidungen  ging,  halten Insider  für  unglaubwürdig.  Kapsch  teilte mit,  das  Unternehmen  habe  sich  gegenüber  dem  Bund  zur  Verschwiegenheit  verpflichtet und könne Fragen zu dem Treffen nicht  detailliert  beantworten.

Die  Grünen  fordern  bereits  die  Ablösung Scheuers. Auch die Liberalen sind angesichts  der  Lücken  in  den  Akten  alarmiert.  „Wenn  es  dazu  keine  Unterlagen gibt,  dann  stimmt  etwas  nicht“,  sagt  der FDP-Verkehrspolitiker  Christian  Jung.

Scheuer sei als Minister alles andere als ein Profi.  „Mit  dieser  Erkenntnis  muss  vor  allem  die  CSU  leben“,  sagt  Jung.

Scheuers  Schicksal  dürfte  wohl  vor  allem  davon  abhängen,  wie  lange  die  CSU das  selbst  noch  will.  Denn  wieder  und  wieder  hagelt  es  unerfreuliche  Botschaften aus  Scheuers  Ressort.  Parteichef  Markus Söder  ist  dafür  bekannt,  Ämter  kühl  und konsequent  neu  zu  besetzen,  wenn  er  darin  einen  Vorteil  erkennt.  So  hat  er  es  bei den  Kabinettsbildungen  in  Bayern  gehalten,  für  die  Posten  in  Berlin  braucht  er nicht  einmal  die  Zustimmung  der  Fraktion.  Die  Bundesminister  sind  dem  Partei-chef ausgeliefert.  Muss  Scheuer  also schon jetzt  um  seinen  Job  fürchten?

Offen  will  sich  in  der  CSU  niemand  äußern,  das  kann  ein  gutes  und  schlechtes Zeichen  sein.  Die  Lage  sei  längst  nicht  so ernst,  dass  die  Partei  ihre  Solidarität  bekunden  müsse,  sagen  die  einen.  Andere wollen  schlicht  nicht  mit  einem  Plädoyer pro  Scheuer  in  Verbindung  gebracht  werden. So sehr Parteifreunde mit dem Krisenmanagement  des  Verkehrsministers  hadern,  so  sehr  schätzen  sie  allerdings  auch dessen Robustheit  in zentralen  Fragen. Bei der  Mobilitätswende  oder  bei  der  Ablehnung des Tempolimits ist Scheuer ein rustikaler  Verfechter  von  CSU-
Interessen.  Kritik  aus  anderen  Parteien  führt  so  im Moment  nur  dazu,  dass  die  CSU  ihre  Wagenburg  schließt  –  zu  Scheuers  Schutz.

Vor  allem  eines  aber  bewahrt  Scheuer vor  Ungemach:  Die  Neuaufstellung  der SPD-Spitze  und  die  damit  verbundenen Unsicherheiten für  die  Zukunft  der  großen Koalition  lassen  einen  Ministertausch  für die  CSU  wenig  sinnvoll  erscheinen,  wenn das  Personal  womöglich  ohnehin  neu  sortiert werden muss. Und warum einen Nachfolger  mit  unangenehmen  Altlasten  beladen,  die  auch  Scheuer  noch  wegschaffen kann?  Schließlich  droht  ihm  sogar  ein  Un-tersuchungsausschuss  im  Bundestag.  Wie Söder  die  Causa  Scheuer  langfristig  beurteilt, wagt in der Partei derzeit niemand seriös  vorherzusagen.  Das  hinge  wohl  davon ab,  wie  unerfreulich  die  Botschaften  aus Berlin  noch  werden.

publiziert in SZ 10.10.2019

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