„Skandalöser Vorgang“
Die Geheimtreffen von Andreas Scheuer mit Mautbetreibern alarmieren. Fachleute und werfen die Frage auf: Ist der Verkehrsminister noch zu halten?
Ein Kommentar auf SZ (10.Okt. 2019)
Die Offenheit seines Ministeriums
sollte per Bild ins ganze Land gehen. Als Bundesverkehrsminister Ende Juli im Verkehrsausschuss des Bundestags erklären musste, da schob er selbst für die laufenden Kameras einen ganzen Rollwagen voller Akten vor sich her, um sie den Abgeordneten zu übergeben. Scheuer ging nach dem Scheitern des CSU-Prestigeprojekts vor dem Europäischen Gerichtshof und angesichts drohender Schadenersatzforderungen der Betreiber in die Offensive: Mauscheleien habe es nie gegeben, erklärte der Minister und kündigte an: „Wir stehen für maximal mögliche Transparenz.“
sollte per Bild ins ganze Land gehen. Als Bundesverkehrsminister Ende Juli im Verkehrsausschuss des Bundestags erklären musste, da schob er selbst für die laufenden Kameras einen ganzen Rollwagen voller Akten vor sich her, um sie den Abgeordneten zu übergeben. Scheuer ging nach dem Scheitern des CSU-Prestigeprojekts vor dem Europäischen Gerichtshof und angesichts drohender Schadenersatzforderungen der Betreiber in die Offensive: Mauscheleien habe es nie gegeben, erklärte der Minister und kündigte an: „Wir stehen für maximal mögliche Transparenz.“
Doch genau daran gibt es erhebliche Zweifel. Denn inzwischen ist klar: Entscheidende Gespräche und Treffen tauchen in den Akten nicht auf. Am Dienstag musste Scheuer gleich fünf weitere Geheimtreffen seines Hauses mit den Mautbetreibern einräumen, die im Ministerium nicht dokumentiert wurden. Eine brisante Erkenntnis, denn im Raum steht ein schwerer Verdacht. Laut Insidern sollen Vertreter der Betreiber Scheuer vorgeschlagen haben, die Mautverträge erst nach dem EuGH-Urteil zu unterzeichnen. Schadenersatzforderungen von bis zu 700 Millionen Euro, die nun im Raum stehen, hätte das wohl verhindert.
Wie gefährlich die Affäre Scheuer werden kann, machen Reaktionen von Fachleuten klar. „Das ist ein skandalöser Vorgang“, sagt der Konstanzer Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften, Wolfgang Seibel, der Süddeutschen Zeitung. Nicht protokollierte Geheimtreffen, die Auswirkungen auf Entscheidungen von Regierung und Verwaltung hätten, noch dazu mit finanziellen Folgen, seien „vollkommen undenkbar“. Sollte ein Mitglied der Bundesregierung an solchen Treffen mit Folgen für den Bundeshaushalt selbst beteiligt gewesen sein und den Verzicht auf einen aussagekräftigen Besprechungsvermerk geduldet haben, „wäre ein Rücktritt unausweichlich“, sagt Seibel.
Die Regierungsvorgaben sind klar: Nur durch ordnungsgemäße Aktenführung werde ein rechtsstaatlicher Verwaltungsvollzug, eine Rechtskontrolle durch Gerichte sowie Aufsichtsbehörden und eine Überprüfung durch die Parlamente gewährleistet, heißt es in einer Stellungnahme zur Transparenz vom Mai. Alle Beschäftigten einer Behörde seien dem Prinzip verpflichtet. Zu den aktenrelevanten Unterlagen zählten die „entscheidungserheblichen Informationen“ – egal wie sie die Behörde erreichen. Also auch Gespräche.
Mit einer fragwürdigen Begründung versucht Scheuers Ministerium die Lücken in den Akten zu rechtfertigen. Die Treffen hätten nur „zu dem allgemeinen Austausch“ oder der Information über Sachstände gedient. Doch die Umstände lassen daran nach Informationen von SZ, WDR und NDR daran Zweifel aufkommen.
Brisant könnten die Inhalte eines Treffens sein, das am 3. Oktober 2018 zwischen Scheuer, seinem damaligen Staatssekretär Gerhard Schulz sowie den Spitzen der
Mautbetreiberfirma Kapsch stattgefunden hat – vierzehn Tage bevor die Firma schließlich am 17. Oktober 2018 ihr milliardenschweres Angebot für die Maut-Umsetzung einreichte – und nur wenige Tage bevor Kapsch einen Zuschlag für einen weiteren Vertrag seitens des Bundes erhielt. Unbeantwortet ist bislang, worum es in dem Treffen inhaltlich ging. Das Bundesverkehrsministerium wollte sich dazu auf Anfrage am Mittwoch nicht äußern. Auch wo das Treffen stattgefunden hat und warum es an einem Feiertag stattfand, wollte das Ministerium nicht mitteilen.
Mautbetreiberfirma Kapsch stattgefunden hat – vierzehn Tage bevor die Firma schließlich am 17. Oktober 2018 ihr milliardenschweres Angebot für die Maut-Umsetzung einreichte – und nur wenige Tage bevor Kapsch einen Zuschlag für einen weiteren Vertrag seitens des Bundes erhielt. Unbeantwortet ist bislang, worum es in dem Treffen inhaltlich ging. Das Bundesverkehrsministerium wollte sich dazu auf Anfrage am Mittwoch nicht äußern. Auch wo das Treffen stattgefunden hat und warum es an einem Feiertag stattfand, wollte das Ministerium nicht mitteilen.
Was dagegen bekannt ist: Kurz nach dem Treffen, am 10. Oktober, erhielt Kapsch die Nachricht, dass die Österreicher vom Bund für einen kleineren Mautvertrag ausgewählt werden sollten – dem zur Kontrolle des Projektes. Dass es bei dem Treffen in der entscheidenden Phase auf höchster Ebene allein um einenbelanglosen Gedankenaustausch ohne Folgen für Ministeriumsentscheidungen ging, halten Insider für unglaubwürdig. Kapsch teilte mit, das Unternehmen habe sich gegenüber dem Bund zur Verschwiegenheit verpflichtet und könne Fragen zu dem Treffen nicht detailliert beantworten.
Die Grünen fordern bereits die Ablösung Scheuers. Auch die Liberalen sind angesichts der Lücken in den Akten alarmiert. „Wenn es dazu keine Unterlagen gibt, dann stimmt etwas nicht“, sagt der FDP-Verkehrspolitiker Christian Jung.
Scheuer sei als Minister alles andere als ein Profi. „Mit dieser Erkenntnis muss vor allem die CSU leben“, sagt Jung.
Scheuers Schicksal dürfte wohl vor allem davon abhängen, wie lange die CSU das selbst noch will. Denn wieder und wieder hagelt es unerfreuliche Botschaften aus Scheuers Ressort. Parteichef Markus Söder ist dafür bekannt, Ämter kühl und konsequent neu zu besetzen, wenn er darin einen Vorteil erkennt. So hat er es bei den Kabinettsbildungen in Bayern gehalten, für die Posten in Berlin braucht er nicht einmal die Zustimmung der Fraktion. Die Bundesminister sind dem Partei-chef ausgeliefert. Muss Scheuer also schon jetzt um seinen Job fürchten?
Offen will sich in der CSU niemand äußern, das kann ein gutes und schlechtes Zeichen sein. Die Lage sei längst nicht so ernst, dass die Partei ihre Solidarität bekunden müsse, sagen die einen. Andere wollen schlicht nicht mit einem Plädoyer pro Scheuer in Verbindung gebracht werden. So sehr Parteifreunde mit dem Krisenmanagement des Verkehrsministers hadern, so sehr schätzen sie allerdings auch dessen Robustheit in zentralen Fragen. Bei der Mobilitätswende oder bei der Ablehnung des Tempolimits ist Scheuer ein rustikaler Verfechter von CSU-
Interessen. Kritik aus anderen Parteien führt so im Moment nur dazu, dass die CSU ihre Wagenburg schließt – zu Scheuers Schutz.
Vor allem eines aber bewahrt Scheuer vor Ungemach: Die Neuaufstellung der SPD-Spitze und die damit verbundenen Unsicherheiten für die Zukunft der großen Koalition lassen einen Ministertausch für die CSU wenig sinnvoll erscheinen, wenn das Personal womöglich ohnehin neu sortiert werden muss. Und warum einen Nachfolger mit unangenehmen Altlasten beladen, die auch Scheuer noch wegschaffen kann? Schließlich droht ihm sogar ein Un-tersuchungsausschuss im Bundestag. Wie Söder die Causa Scheuer langfristig beurteilt, wagt in der Partei derzeit niemand seriös vorherzusagen. Das hinge wohl davon ab, wie unerfreulich die Botschaften aus Berlin noch werden.
publiziert in SZ 10.10.2019
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